Neuer Forschungsansatz:

So wirken Dehnübungen bei älteren Menschen

Im Rahmen einer Dissertation an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken machten es sich Wissenschaftler zur Aufgabe, die Frage zu klären, welche Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen in der Trainierbarkeit der Muskeldehnfähigkeit bestehen. Das Ergebnis zeigt, dass die Unterschiede offenbar geringer sind als bisher angenommen1).

Veröffentlichung

Haab, T., Martini, J., Baluktsian, S. et al. Altersspezifische Anpassungen an ein Dehntraining. Ger J Exerc Sport Res 47, 371–384 (2017). Externer Link Icon

Wirkungen von Dehnübungen

Zunächst analysierten die Forscher Studien, die bisher auf diesem Gebiet gemacht worden waren. In einer systematischen Literaturrecherche identifizierten sie insgesamt 1.205 Studien, bei denen sie Hinweise für einen Zusammenhang zu dieser Fragestellung fanden. Darunter waren 42 Studien, die Anpassungserscheinungen durch ein Dehntraining, also eine Erweiterung des Bewegungsradius durch gezielte Dehnübungen, untersuchten. Insgesamt nahmen bei der Auswahl der 42 Studien 1.476 Probanden teil, allerdings lag der Anteil der älteren Erwachsenen lediglich bei etwa einem Fünftel aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer2).

In diesen Studien zeichnet sich ab:

  • Ältere Erwachsene benötigen offenbar längere Trainingsphasen als jüngere3)4).
  • Sie profitieren eher von einer Eigendehnung, die nicht bis zur maximal möglichen Dehnbarkeit ausgereizt wird5).
  • Fremddehnung, also eine Dehnung, die zum Beispiel ein Physiotherapeut an einem Probanden ausführt, hat eine geringere Wirkung als eine Eigendehnung6).
  • Um ein optimales Übungsergebnis zu erreichen, sollten ältere Erwachsene statische Dehnungen länger als 30 Sekunden ausführen7).
  • Ältere Erwachsene benötigen mehr Trainingseinheiten, um auf ein mit Jüngeren vergleichbares Trainingsergebnis zu kommen8)9).
  • Dehnübungen, die gesunde Menschen mehr als dreimal in der Woche durchführen, bringen keine weitere Verbesserung der Beweglichkeit10)11)
  • Menschen mit Schmerzzuständen waren von diesen Studien ausdrücklich ausgenommen. Für diese sind gegebenenfalls andere Trainingsintervalle sinnvoll.

Allerdings gab es bisher keine Untersuchungen, in denen ältere und jüngere Probanden unter gleichen Bedingungen ein mehrwöchiges Dehntraining durchführten. Ebenso fehlten bisher Untersuchungen zur Trainierbarkeit der Muskeldehnfähigkeit bei älteren Menschen. Unter Muskeldehnfähigkeit versteht man die Bewegungsweite der Muskeln, Sehnen, Bänder und Kapseln. Im Unterschied dazu spricht man von Gelenkigkeit, wenn der Bewegungsbereich angesprochen wird, der durch die knöcherne Gelenkstruktur, den Knorpel, die Bandscheiben und die Menisken begrenzt ist12).

Der direkte Vergleich im Dehnverhalten bei Jüngeren und Älteren

In einer empirischen Untersuchung stellte das Forscherteam zwei Gruppen zusammen, die sie miteinander verglichen.
 

Zusammensetzung der Vergleichsgruppen

Die eine Gruppe bestand aus Sportstudenten des 4. Semesters der Universität des Saarlandes, die andere Gruppe aus Menschen, die sich weitestgehend im Rentenalter befanden und an einem Präventionsprogramm der Universität teilnahmen. Alle Teilnehmer waren männlich und hatten zuvor kein gezieltes Dehntraining durchgeführt. Zu den Zulassungsvoraussetzungen gehörte, dass sie unter anderem frei waren von Schmerzen, keine akuten Verletzungen hatten sowie keine Prothesen in der Hüfte und in den Beinen. Vor Beginn der Untersuchungen hatten sie keine Sportart mit hoher Gelenkbeweglichkeit ausgeführt.
 
Die individuelle sportliche Aktivität während des Untersuchungszeitraums sollte den Rahmen des Freizeitsports nicht überschreiten – das heißt, dass sie nicht mehr als 60 Minuten pro Tag und nicht mehr als drei Tage pro Woche sportlich aktiv sein sollten13). Ferner sollten die Teilnehmer der Studie ihre Lebensgewohnheiten während des Untersuchungszeitraumes nicht verändern und keine neuen ungewohnten sportlichen Aktivitäten aufnehmen.
 

Versuchsdauer und Trainingsintervalle

Der Untersuchungszeitraum umfasste zehn Wochen. Während dieser Zeit führten die Teilnehmer ein Dehntraining mit statischer Eigendehnung durch. Dreimal in der Woche dehnten sie dreimal pro Beinseite die ischiocrurale Muskulatur für jeweils 60 Sekunden. Die ischiocrurale Muskulatur gehört zu den wichtigsten Beinmuskeln und befindet sich an der Rückseite der Oberschenkel. Sie beugt die Knie, streckt die Hüfte und stabilisiert das Becken.
Grafik mit Daten zu Trainingsintervallen und anderen sportlichen Aktivitäten aus Fließtext

© Liebscher & Bracht

 

Versuchsaufbau

In ihrem Untersuchungsaufbau orientierten sich die Forscher an den Trainingsempfehlungen des American College of Sports Medicine14)15). Bei der Anzahl der Wiederholungen bezogen sich die Forscher auf Ergebnisse, nach denen eine Dehnübung zwei- bis viermal wiederholt werden sollte16), bei der Dauer der Trainingsmaßnahme auf Ergebnisse, nach denen eine 60-sekündige Dehnung bei älteren Erwachsenen die Bewegungsreichweite stärker verbesserte als bei kürzerer Dehnung17).
Grafik mit Daten zu Trainingsintervallen und anderen sportlichen Aktivitäten aus Fließtext

© Liebscher & Bracht

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Die Ergebnisse der Untersuchung

Die Daten zeigen, dass kein signifikanter Unterschied in der Veränderung der maximalen Beweglichkeit zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen nach dem absolvierten Dehntraining besteht. Beide Altersgruppen erreichten ähnliche prozentuale Zuwachsraten in ihrem Bewegungsradius.
 

Veränderungen in der maximalen Dehnungsspannung

Auch in der maximalen Dehnungsspannung war kein signifikanter Unterschied zwischen den Altersgruppen feststellbar. Darunter versteht man den Widerstand, den der Muskel aufgrund seiner physiologischen Eigenschaften entgegensetzt, wenn er gedehnt wird. Der Widerstand, den der Muskel bei seiner Aktivierung entgegensetzt, also dem Zustand, in dem er angespannt ist, fällt ebenfalls darunter18). Allerdings weisen die Daten der Studie darauf hin, dass die jungen Studienteilnehmer besser in der Lage waren, den Dehnungsschmerz zu tolerieren. Die älteren Studienteilnehmer sind demnach während des Trainings nicht so nah an ihre individuelle Schmerzgrenze gegangen wie die jüngeren.
 

Veränderungen der Muskeldehnfähigkeit nahezu gleich

Interessant ist auch die Feststellung, dass sich die Muskeldehnfähigkeit zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen ebenfalls nicht signifikant unterschiedlich verändert hat. Durch die Trainingsintervalle nahm die Muskeldehnfähigkeit, in der Studie auch „passiv-elastische Stiffness“ genannt, zu. In der Folge vergrößerte sich der Bewegungswinkel in der Hüfte. Bei der älteren Teilnehmergruppe war dieser Effekt etwas ausgeprägter als bei der jüngeren. Das heißt, dass statisch-passives Dehnen bei älteren Menschen sogar noch bessere Ergebnisse in der Erweiterung des Bewegungsradius erzielt hat als bei jüngeren19).

Illustration Muskeln menschlicher Körper Beine von hinten, ischiocrurale Muskulatur farblich hervorgehoben

©adike | shutterstock.com (bearbeitet)

ischiocrurale Muskulatur an der Rückseite der Oberschenkel

Ältere profitieren in vielen Lebensbereichen stärker von einem Dehntraining als Jüngere

Bei älteren Menschen können Dehnenübungen einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität haben. Während jüngere Menschen vorwiegend in sportlicher Hinsicht von einem Dehntraining profitieren, hat eine gute Beweglichkeit bei Personen in einem höheren Lebensalter noch eine andere Bedeutung: Je beweglicher sie sind, desto besser bewältigen sie ihren Alltag. Die Lebensqualität wird weniger eingeschränkt, sie können chronischen Krankheiten des Bewegungsapparates vorbeugen und die Gefahr von Stürzen minimieren20). Darüber hinaus können Dehnübungen auch gezielt zur Behandlung von Schmerzzuständen eingesetzt werden21).

Das sind gute Aussichten für ältere Menschen und alle, die es noch werden: Die Studie stellt fest, dass regelmäßiges Dehntraining in jedem Lebensalter lohnenswert ist. Egal, wie alt oder jung der Mensch ist, der Bewegungsradius der Muskeln und Gelenke verbessert sich in einem ähnlichen Ausmaß. Der wichtigste Unterschied, den Ältere ganz einfach berücksichtigen können: Sie benötigen mehr Trainingseinheiten dafür.

Quellen & Studien

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