Forscher an der Universität Utrecht entdecken

Heilprozesse bei Arthrose im Kniegelenk

Die Suche nach einer Behandlungsmethode, Arthrose heilen zu können, treibt Mediziner und Wissenschaftler auf der ganzen Welt um. Bisher gilt eine Arthrose als unheilbar und die Therapieangebote beschränken sich darauf, den Krankheitsverlauf so lange wie möglich hinauszuzögern.1) 2) 3)

Mit diesen Erkenntnissen setzte sich ein Forscherteam um Floris Lafeber an dem Universitair Medisch Centrum Utrecht in den Niederlanden daran, eine neue Behandlungsmethode der Kniearthrose, auch Gonarthrose genannt, zu erforschen, mit der dieses Ziel ebenfalls erreicht werden könnte. Dabei handelt es sich um die sogenannte Kniedistraktion. Die Forscher wollten herausfinden, ob durch eine Vergrößerung des Abstands der Knochen im Kniegelenk das Schmerzempfinden reduziert und die Beweglichkeit verbessert werden kann.4)

Im Verlauf dieser Studie machten sie eine Entdeckung, die sich als wegweisend für eine erfolgreiche Behandlung und sogar einen neuen Therapieansatz für Arthrose erweisen könnte.

Veröffentlichung

Wiegant, K., van Roermund, P. M., Intema, F., Cotofana, S., Eckstein, F., Mastbergen, S. C., & Lafeber, F. P. (2013). Sustained clinical and structural benefit after joint distraction in the treatment of severe knee osteoarthritis. Osteoarthritis and cartilage, 21(11), 1660–1667. Externer Link Icon

Behandlungsoptionen der Studienteilnehmer

In früheren klinischen Studien erzielten Lafeber und seine Teams bereits ermutigende Ergebnisse mit einer Knochendistraktion bei Arthrose im Sprunggelenk.5) 6) Auf der Suche nach weiteren Behandlungsoptionen für Kniearthrose-Patienten folgerten sie, dass diese Therapieform auch bei einer Kniearthrose Erfolge erzielen könnte.

In der hier vorgestellten Studie konzentrierten sich die Forscher auf relativ junge, körperlich aktive Patienten im Endstadium einer Kniearthrose. Bei diesen Patienten waren sämtliche konservative Behandlungsmethoden ausgeschöpft. Um Schmerzen und Beweglichkeit weiter therapieren zu können, hätte eine Knieprothese eingesetzt werden müssen. Da eine Knieprothese nur eine begrenzte Lebensdauer hat, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr hoch gewesen, dass diese Patientengruppe im weiteren Verlauf ihres Lebens diese Operation ein zweites Mal über sich ergehen lassen müsste. Insgesamt nahmen 20 Patienten im Alter zwischen 32 und 57 Jahren an dieser Studie teil. Sie litten alle an Kniearthrose im Endstadium, begleitet von anhaltendem Funktionsverlust, das heißt Einschränkungen in der Beweglichkeit und anhaltenden Schmerzen.

Kniedistraktion zur Behandlung von Kniearthrose

Knochendistraktionen werden bereits seit Längerem in der Chirurgie durchgeführt. Sie haben sich vor allem bei der Heilung komplizierter Knochenbrüche, bei denen sich Knochenteile verschoben und ineinander verkeilt haben, als sehr wirksam erwiesen.

Eine Distraktion ist ein invasiver Eingriff in den menschlichen Körper: Der Knochen wird an mehreren Stellen angebohrt, in die Bohrlöcher werden Metallstifte eingelassen. Sie sind so lang, dass sie an ihrem anderen Ende aus dem Körper herausragen. Das ist notwendig, um sie an einem Metallgestell außerhalb des betroffenen Körperteils in ihrer Position fixieren zu können. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass einzelne Knochenteile wieder in ihrer Ausgangslage dauerhaft positioniert werden und zusammenwachsen können.

Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie mit Kniearthrose im Endstadium wurden mit der Distraktion die Knochen von Ober- und Unterschenkel so positioniert, dass der Abstand im Kniegelenk größer wurde. Ziel des Eingriffs war es, den Gelenkspalt auch nach Abnahme des Metallgestells für eine Zeit lang soweit vergrößert zu haben, dass der Einsatz einer Knieprothese erst zu einem späteren Zeitpunkt notwendig ist.

Risiken einer Distraktion

Während einer Distraktion ist der betroffene Körperteil mehreren Gefahrenquellen ausgesetzt, die den Heilprozess beeinträchtigen können.

Die Fixierungsapparatur, der sogenannte Fixateur externe, sollte möglichst keinen mechanischen Einwirkungen ausgesetzt werden, da diese schlimmstenfalls auf die damit verbundenen Knochenbereiche übertragen werden könnten. Jede Druckausübung, sei es ein unabsichtlicher Stoß oder ein Hängenbleiben an einem Kleidungsstück, kann den Heilprozess beeinträchtigen.

Die Stellen, an denen die Metallstifte aus dem Körper heraustreten, sind offene Wunden, über die Keime in den Organismus gelangen können. Eine häufige Begleiterscheinung sind Entzündungen an diesen Stellen. Im schlimmsten Fall gelangen Keime bis in die Knochenstruktur.

Da dieser Fixierungsprozess in der Regel viele Wochen andauert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Komplikationen auftreten.

Ergebnisse des operativen Eingriffs

Das Team führte die Operation bei allen Patienten erfolgreich durch. Während des Behandlungszeitraums kam es bei einem Großteil der Patienten zu einer Infektion an den Eintrittsstellen der Metallstäbe in den Körper. Diese in diesem Zusammenhang häufig auftretende Infektion heißt auch Pin-Track-Infektion7) und macht im Regelfall eine Behandlung mittels Antibiotika notwendig, so auch in den hier vorliegenden Fällen. Unmittelbar nach Abnahme des Fixateur externe war die Beweglichkeit des Kniegelenks eingeschränkt. Diese Auswirkung war vorhersehbar. Ruhiggestellte Gelenke steifen ein. Diese Bewegungssteifheit löste sich innerhalb der darauffolgenden Wochen vollständig auf. Bereits nach drei Monaten war ein Erfolg zu sehen: Die Schmerzen ließen deutlich nach, die Beweglichkeit des Kniegelenks nahm zu. Diese Entwicklungskurve steigerte sich signifikant in den ersten sechs Monaten nach dem Eingriff und flachte danach etwas ab. Wie eine Kontroll-Untersuchung nach einem Jahr zeigte, nahm der Bewegungsradius auch dann noch weiterhin zu und das Schmerzempfinden ab.8)

Grafik von Knochendistraktion mit einem Fixateur externe

Grafik Kniedistraktion mit einem Fixateur Externe (© Liebscher & Bracht

Entdeckung bei Nachuntersuchungen

Mit Hilfe von MRT-Bildern und Röntgen-Bildern haben die Forscher die Veränderungen, die die Kniedistraktion in dem betroffenen Gelenk erbracht hat, nach der Operation fortlaufend dokumentiert. Dabei haben sie eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Das an Arthrose erkrankte Knorpelgewebe hatte sich offenbar teilweise erholt. Stellen, an denen die Knorpelschicht vor der Operation deutlich dünner war als in einem gesunden Kniegelenk, wiesen nun einen größeren Durchmesser auf.

Bereiche, an denen der Knochen bereits vollständig von Knorpelgewebe freigelegt war, waren wieder von einer Knorpelschicht überzogen. Diese Veränderungen waren in den von Arthrose betroffenen Bereichen festzustellen, während andere Bereiche unverändert blieben.

Über die Beschaffenheit dieses neu gebildeten Gewebes kann nur spekuliert werden. Die bildgebenden Verfahren geben einige Hinweise. Auf Abbildungen der Magnetresonanztomografie (MRT) weisen die neu gebildeten Gewebestrukturen dieselben Eigenschaften auf wie bei einem gesunden Knorpelgewebe.9) Das neu gebildete Gewebe verfügt über funktionelle Eigenschaften: Auch nach längerer Zeit mit normaler Beanspruchung und Belastung des Gelenks weist das neu gebildete Gewebe Eigenschaften auf, die denen eines gesunden Knorpelgewebes entsprechen. Das neu gebildete Gewebe ist keine vorübergehende Erscheinung, die Neubildung ist als nachhaltig anzusehen. Wie in einer daraus entstandenen Langzeitbeobachtung festgestellt wurde, ist das bei einigen Patientinnen und Patienten sogar 9 Jahre nach der Distraktion noch der Fall.10)

Grafische Darstellung eines Kniegelenks und der Muskulatur

Gesundes Kniegelenk mit normalem Knochenabstand (© peakanucha | shutterstock.com)

Kniedistraktion ist eine erfolgreiche Behandlungsmethode bei Arthrose im Endstadium

Die Studie beweist zusammen mit mehreren Folgestudien, dass eine Kniedistraktion eine nachhaltige Behandlungsmethode ist, die den Einsatz einer Knieprothese um mindestens zwei Jahre hinauszögern kann. Trotz des operativen Eingriffs und der damit verbundenen Risiken waren die Teilnehmer der Studie von dem Ergebnis der Behandlung überzeugt.

Die Kniedistraktion könnte sich somit als erfolgreiche Behandlungsmethode bei Kniearthrose etablieren. Ihr Einsatz ist vor allem für jüngere Patienten geeignet, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass eine eingesetzte Kniegelenkprothese nicht bis an ihr Lebensende hält. Der Anteil dieser Patienten ist hoch: 40 Prozenz aller Patienten mit Knie-Ersatz und 44 Prozent aller Patienten mit totalem Knie-Ersatz sind jünger als 65 Jahre.

Dogma der Unheilbarkeit von Arthrose in Frage gestellt

Die Forscher heben hervor, dass diese eher zufällig gemachten Entdeckungen für die Erforschung und Behandlung von Arthrose neue Wege aufzeigen. Das Dogma, Selbstheilungsprozesse bei Arthrose seien nicht möglich, wird infrage gestellt. Neue Forschungs- und Behandlungsansätze könnten zu einer erfolgreichen Behandlung und sogar einer Heilung von Arthrose führen. Das sind gute Aussichten für alle Betroffenen.

Quellen & Studien

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